Titelbild zu Recht auf Ernährungsversorgung: Grundprinzipien für Klinik, Praxis und Pflege
Fachthemen

Recht auf Ernährungsversorgung
Grundprinzipien für Klinik, Praxis und Pflege

Internationale Erklärungen zum Recht auf Gesundheit betonen: Jede Person hat Anspruch auf angemessene Ernährungsversorgung. Ein fachlicher Rahmen, der diese Perspektive für die klinische Praxis konkretisiert, ist die „Vienna Declaration on the Human Right to Nutritional Care“.

Diese wurde in einem internationalen Netzwerk von Fachgesellschaften für klinische Ernährung entwickelt und von ESPEN mitgetragen. Der Beitrag erklärt Herkunft, Ziel und Nutzen – und zeigt, wie Teams daraus umsetzbare Standards ableiten.

Die Kernidee: Menschenrecht als Versorgungsauftrag

Die Menschenrechts-Perspektive leitet sich aus dem allgemeinen Recht auf Gesundheit und dem Recht auf angemessene Ernährung ab. Für den klinischen Alltag bedeutet das: Ernährungsversorgung ist keine optionale Zusatzleistung, sondern Pflichtbestandteil guter Behandlung. Daraus folgt ein überprüfbarer Auftrag an Strukturen, Prozesse und Kompetenzen.

Empfehlungen für den Berufsalltag

  • Screening ist Standard. Bei Aufnahme wird das Risiko für Mangelernährung routinemäßig erfasst (z. B. NRS‑2002, MUST, MNA‑SF).
  • Diagnose nach GLIM* (Erläuterung siehe unten). Bei positivem Screening folgt eine strukturierte Abklärung anhand der GLIM‑Kriterien (sichtbare körperliche Veränderungen und deren Ursachen) inklusive Einstufung des Schweregrads.
  • Ernährungstherapie mit Plan. Je nach Befund: energiedichte Kost, Protein‑Leitplanken, Texturanpassung, ONS/enterale/parenterale Ernährung, kombiniert mit Bewegung/Mobilisation.
  • Fachübergreifend zusammenarbeiten. Ärzt:innen, Diätassistent:innen, Pflege, Therapie und Apotheke definieren Verantwortlichkeiten, Übergaben und Dokumentation.
  • Informieren und einbeziehen. Patient:innen erhalten verständliche Informationen zu Rechten, Optionen und Zielen; Entscheidungen werden gemeinsam getroffen.
  • Messen und verbessern. Verlaufsmarker (Gewicht, FFMI, Energie-/Proteinaufnahme), Komplikationen, Liegedauer und Re‑Einweisungen dienen als Qualitätsindikatoren.

* Das sind die GLIM‑Kriterien

Die Abkürzung GLIM steht für Global Leadership Initiative on Malnutrition. Dabei handelt es sich um einen international anerkannten Standard zur Diagnose von krankheitsbedingter Mangelernährung. Die GLIM‑Kriterien kombinieren zwei Perspektiven: sichtbare körperliche Veränderungen (z. B. unbeabsichtigter Gewichtsverlust, niedriger BMI, Verlust an Muskelmasse) und Ursachen der Mangelernährung (z. B. verminderte Nahrungsaufnahme, Entzündung, akute oder chronische Erkrankung). Erst das Zusammenspiel dieser Faktoren erlaubt eine gesicherte Diagnose und Einstufung des Schweregrades.

Ethik und Ökonomie ziehen an einem Strang

Menschenwürde und Wirksamkeit sind keine Gegensätze. Frühzeitige Ernährungstherapie reduziert Komplikationen, verkürzt Aufenthalte und senkt Kosten. Die Menschenrechts‑Brille hilft, Prioritäten zu setzen. Das ist vor allem auch entscheidend bei begrenzten Ressourcen.

Bezug zu nationalen Leitlinien

Der Rahmen ergänzt nationale Empfehlungen (z. B. DGE/VDD/VFED und weitere Fachgesellschaften) und übersetzt sie in alltagsnahe Abläufe: Risikoerkennung bei Aufnahme, gesicherte Diagnose, geeignete Ernährungstherapie, Dokumentation und Verlaufskontrolle. Er schafft also kein Paralleluniversum, sondern hilft, vorhandene Standards verlässlich umzusetzen.

Gleichzeitig verbindet er nationale Vorgaben mit international anerkannten Diagnosekriterien (GLIM), ohne diese zur Hürde zu machen: Entscheidend ist, dass jedes Team ein nachvollziehbares Vorgehen vereinbart und in Checklisten und SOPs festhält.

Erforderliche Ressourcen

Sinnvoll ist ein klares Rollenprofil (z. B. Ernährungsbeauftragte:r je Bereich), kurze Team‑Schulungen, praxistaugliche Dokumentationsbausteine im KIS/PVS sowie definierte Wege für komplexe Fälle.

Am besten pragmatisch mit einer Pilotstation starten, ein Einseiter mit Ablauf (Risikoeinschätzung → Diagnose → Therapie → Verlauf), zwei feste Schulungstermine pro Jahr und drei Kennzahlen (z. B. Anteil gescreenter Personen, Energie/Protein‑Zielerreichung, Wiederaufnahmen). So wird der Anspruch planbar und messbar.

Weitere Informationen

Factsheet „Nutritional care is a human right“ (ESPEN):https://www.espen.org/images/files/ESPEN-Fact-Sheets/ESPEN-Fact-Sheet-Nutritional-care-is-a-human-right.pdf

Autorin

Autor: Friedericke Kirsten
Friedericke Kirsten
von Ernährungswandel

Espen und die Wiener Erklärung

ESPEN ist die europäische Fachgesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel. Sie vernetzt Forschung und Praxis, erarbeitet Leitlinien und organisiert Weiterbildungen (u.a. die ab 10. November 2025 stattfindende Malnutrition Awareness Week). Die „Wiener Erklärung“ ist kein Gesetz, aber ein fachlicher Konsensrahmen zur Ernährungsversorgung als Menschenrecht. Er bündelt Prinzipien, Ziele und praktische Leitplanken, damit Versorgungsteams Screening, Diagnose und Therapie systematisch verankern, unabhängig von Alter, Erkrankung oder Versorgungssituation. Damit werden starke Argumente für Qualitätsziele, Zertifizierungen und Verträge gebündelt.

Weitere Artikel

Mehr spannende Inhalte aus dem Ernährungswandel Magazin rund um Gesundheit und Ernährung.