Titelbild zu Im Interview: Wie das Landleben in Billberge neu gedacht wird

Billberge mit bebaubarer Grünfläche (mitte), Werkstattgebäude (oben rechts), Bestandswohnungen (rechts), Gemeinschaftsflächen, Pferdestallungen (links) und bewohnten Häusern (unten, mitte). Foto: CROFOX.AGENCY

Lokales

Im Interview
Wie das Landleben in Billberge neu gedacht wird

In Billberge entsteht ein Dorf, das sich von klassischen Land- und Stadtbildern löst. Der kleine Ort an der Elbe entwickelt sich zu einem Werkdorf, das Wohnen, Arbeiten und Natur neu zusammendenkt. Holzhäuser, gemeinschaftlich sanierte Bestandsgebäude und offene Werkstätten bilden dabei nur den äußeren Rahmen. Entscheidender ist die Haltung dahinter: Menschen, die Verantwortung übernehmen möchten, Räume schaffen wollen und ein Miteinander suchen, das im Alltag stattfindet.

Die Vision von Gutleben Billberge geht weit über bauliche Fragen hinaus. Es geht um Kooperation statt Vereinzelung, um praktische Bildung, um ökologische Landwirtschaft und um eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig trägt. Wie dieser Ort entsteht, wer ihn prägt und welche Zukunft dort gedacht wird, darüber sprach mit uns Katrin Frische von der Vielleben eG in diesem Interview.

Ernährungswandel: In Billberge entsteht derzeit ein neuartiges Wohn- und Lebensprojekt. Was ist die Idee und Vision dahinter?

Gutleben Billberge soll ein lebendiger Ort werden, an dem Wohnen, Arbeiten und Natur wieder zusammenfinden. Wir möchten zeigen, dass ein Dorf nicht nur aus Gebäuden besteht, sondern aus Beziehungen - zwischen Menschen, zwischen Generationen und zwischen Mensch und Landschaft.

Die Vision ist ein Werkdorf, das Mut macht: ein Ort, an dem Menschen ihre Hände und Ideen wieder einsetzen können, an dem Nachbarschaft selbstverständlich wird und an dem Zukunft nicht konsumiert, sondern mitgestaltet wird.

Langfristig wollen wir zeigen, wie nachhaltige Dorfentwicklung gelingen kann: mit kleinen Holzhäusern, mit gemeinschaftlich sanierten Bestandsgebäuden, und mit Strukturen, die Kooperation statt Vereinzelung fördern. Die Maxime ist: reduzierte Individualflächen, maximierte Gemeinschaftsflächen.

Ernährungswandel: Welche Menschen zieht es konkret in die neue Dorfgemeinschaft?

Billberge zieht Menschen an, die ein naturnahes Umfeld und Boden unter den Füßen wollen, ohne auf dem Land zu versauern. Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen das Stadtleben satt haben und ein Leben in einem inspirierenden Umfeld suchen.: Familien, die sich für ihre Kinder ein naturbezogeneres Leben wünschen. Handwerker:innen, die Lust auf Räume zum Machen haben. Kreative, die das Land als Möglichkeitsraum begreifen. Menschen, die nicht mehr zwischen Stadt- oder Landleben wählen wollen, sondern eine verbindende Form suchen.

Gemeinsam ist ihnen eine Haltung: Sie möchten Verantwortung übernehmen - für ihren Ort, für ihren Alltag und für das Zusammenleben. Gemeinschaft ist kein Romantik-Begriff, sondern tägliche Praxis. Man unterstützt sich, teilt Ressourcen und schafft Strukturen, die das Leben leichter machen.

Ernährungswandel: Welche Rolle spielt das Thema Landwirtschaft in Billberge?

Ökologische Landwirtschaft ist ein Ziel für die Zukunft von Billberge. Ganz konkret arbeiten wir daran, Flächen rund um den Hof für den ökologischen Anbau zu pachten. Auch in diesem Bereich ist es ein zentrales Anliegen, Räume zu schaffen, in denen gemeinsames Ausprobieren, Lernen und Ernten möglich ist.

Wichtig ist uns: keine romantisierte Selbstversorgungsfantasie, sondern ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und Ernährung. Perspektivisch wünschen wir uns zudem ein Biocafé, das regionale Produkte sichtbar macht und Billberge zu einem Ort guter Lebensmittel werden lässt.

Wie genau die landwirtschaftlichen Aktivitäten später aussehen, entwickeln wir gemeinsam mit den Menschen, die nach Billberge ziehen werden - auf Basis echter Flächen, echter Bedürfnisse und echter Möglichkeiten.

Ernährungswandel: Plant ihr auch Bildungsprojekte rund um nachhaltige Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt?

Billberge hat mit seinen ehemaligen Werkstätten und dem weitläufigen Gelände grundsätzlich großes Potenzial für Bildungsangebote. Aber wir entscheiden noch nicht heute, was dort morgen genau stattfinden wird. Wir wissen: Der Ort lädt dazu ein, Lernen wieder praktischer, alltagsnäher und erfahrungsbezogener zu denken. Ob im Garten, in der Werkstatt oder im Austausch miteinander. Themen wie Ernährung, Boden, Naturverbindung oder Handwerk liegen gewissermaßen in der Luft.

Ernährungswandel: Wie soll der Alltag in der Dorfgemeinschaft Billberge aussehen?

Wir wünschen uns einen Alltag, in dem Begegnungen wieder natürlicher entstehen - ohne Doodle-Umfragen, lange Vorlaufzeiten und permanenten Koordinationsaufwand. Ein Dorf lebt davon, dass man sich zufällig trifft, etwas gemeinsam anpackt oder spontan am Abend zusammenkommt. Genau diese Qualität wollen wir in Billberge ermöglichen.

Geplant sind:

  • ein Gemeinschaftshaus mit Küche, großer Tafel und Platz für Feste und Versammlungen,
  • Werkstätten zum Bauen, Reparieren und Entwickeln,
  • Gärten und Streuobstwiesen

Rituale sollen aus dem Alltag heraus entstehen: ein gemeinsamer Suppentopf am Sonntag, ein offener Werkstattabend, Erntefeste, Reparaturtage. Unser Anliegen ist es, die Räume zu schaffen, die die späteren Bewohner:innen dann mit Leben füllen sollen.

Ernährungswandel: Welche Bedeutung hat die Tierhaltung im Konzept?

Tiere holen uns zurück ins Hier und Jetzt. Und sie öffnen Kindern wie Erwachsenen den Blick für Verantwortung. Der angrenzende Reiterhof ist eine große Bereicherung: Er bietet Begegnungen mit Pferden, naturnahe Erfahrungen und die Möglichkeit, sich selbst zu spüren.

In Billberge selbst denken wir eher an kleine Tierhaltung im Dorf: Hühner, vielleicht ein paar Schafe oder Ziegen - nicht als landwirtschaftlicher Betrieb, sondern als Teil eines gesunden, lebendigen Hoforganismus.

Ernährungswandel: Vor welchen Hürden standet ihr bisher bei der Umsetzung und wie geht ihr mit diesen Herausforderungen um?

Eine Vision für ein Dorf entsteht schnell. Auf Papier ist vieles schnell formuliert. Die eigentliche Herausforderung beginnt dort, wo sie in die Realität überführt werden muss. Dazu gehört vor allem, Menschen zu finden, die nicht nur sympathisieren, sondern tatsächlich bereit sind, den Schritt zu gehen und ihr Leben nach Billberge zu verlagern. Diese Entscheidung ist groß, verlangt Mut und ein echtes inneres Ja.

Auch der Entwicklungsprozess selbst fordert uns: Aus Ideen tragfähige Strukturen zu machen, planerische und rechtliche Rahmenbedingungen zu klären und gleichzeitig den Charakter des Ortes zu bewahren.

All das braucht Geduld, Sorgfalt und Beharrlichkeit. Zwischenmenschlich geht es darum, unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen, ohne sich in Details zu verlieren

Deshalb ist ein stabiles, ko-kreatives Team entscheidend. Menschen, die Verantwortung teilen, gemeinsam denken und auch dann drangeblieben, wenn Dinge länger dauern oder komplexer sind als gedacht. Dieses Team haben wir.

Hinzu kommt: Wir bringen viel Erfahrung aus anderen Projekten mit. Insbesondere, was rechtliche Konstruktionen, genossenschaftliche Modelle und strukturelle Abläufe betrifft. Diese Erfahrungen helfen uns sehr dabei, Billberge Schritt für Schritt sicher und realistisch umzusetzen.

Ernährungswandel: Welche Erfahrungen oder Innovationen aus dem Projekt könnten anderen Dörfern oder Höfen als Vorbild dienen, die einen ähnlichen Weg einschlagen wollen?

Billberge versteht sich als Modellort dafür, wie ländliche Räume neu gedacht werden können. Ein zentraler Ansatz ist, Wohnen und Arbeiten wieder enger zu verweben.

Wenn Werkstätten, kleine Gewerbe und Wohnräume in räumlicher Nähe entstehen, wird Dorfleben wieder alltagstauglich: weniger Pendeln, mehr Begegnung, mehr Zeit für das Wesentliche.

Ebenso zeigt Billberge, wie wichtig es ist, Beziehungen und gegenseitige Verantwortung bewusst in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür braucht es neben dem expliziten Wunsch zu einem solchen Miteinander vor allem Räume, die Begegnung ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass genossenschaftliche Modelle grundsätzlich ein Schlüssel für zukunftsfähiges Wohnen sind: Sie verhindern Spekulation, machen Menschen zu Mitgestalter:innen, stärken ihre Selbstwirksamkeit und schaffen verlässlichen, bezahlbaren Wohnraum, der weit mehr Menschen offensteht als klassisches Eigentum.

Autorin

Autor: Friedericke Kirsten
Friedericke Kirsten
von Ernährungswandel

Über Gutleben Billberge

Dieses Werkdorf entsteht an der Elbe als Ort in dem Wohnen, Arbeiten und Natur eine neue Verbindung eingehen. Kleine Holzhäuser, gemeinschaftlich sanierte Bestände und offene Werkstätten bilden den Rahmen für ein Dorf, das Kooperation, Nachhaltigkeit und Alltagstauglichkeit groß denkt. Billberge versteht sich als Modellort dafür, wie moderne Dorfentwicklung gelingen kann: Mit Verantwortung, echten Beziehungen und einer Gemeinschaft, die täglich gelebt wird. Weitere Informationen auf der Webseite von Gutleben Billberge: https://gutlebenbillberge.de

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